«Wenn es um Leben und Tod geht, gibt es keine Nationen, keine Diplome und keine Hautfarben»
Das sind die Worte von Claude Bavaud, einem Arzt aus Leidenschaft. Mit inzwischen 81 Jahren führt er immer noch mit viel Engagement und Interesse seine eigene Arztpraxis. In seiner beeindruckenden Karriere war er jedoch bei weitem nicht nur ortsgebunden. Vom Völkermord in Rwanda bis zur Wiederinbetriebnahme eines verlassenen Spitals in Kamerun hat Dr. Bavaud ziemlich alles erlebt, was es zu erleben gibt. Geboren und gross geworden ist er in Bern.
In einfachen Verhältnissen aufgewachsen
Er ist 1941 während des Zweiten Weltkriegs geboren. Sein Vater wäre selbst gerne Arzt geworden, erzählt Dr. Bavaud. So verwirklichte seinen Traum in seinem Sohn. Der Vater habe ihn bereits früh mit Wissen in Form von Büchern gefüttert, sagt er. «Er hat mir Bücher über Polarforscher, „Mikrobenjäger“ und den deutschen Chirurgen Prof. Sauerbruch gekauft», erinnert er sich. Er schickte ihn später ans Gymnasium Kirchenfeld in Bern.
Medizin ist nur eines von vielen Interessen
Gegen Ende seiner Zeit am Gymnasium, wo Claude Bavaud 1960 die Matura bestand, ging es langsam um die Auswahl eines passenden Studiums. «Wir haben Broschüren über mögliche akademische Berufe erhalten. Eines Tages ging dann in der Klasse eine Liste herum, in der man bis zu einem Stichtag das gewählte Studium eintragen musste», erinnert sich Herr Bavaud. Einige Studiengänge seien in die engere Auswahl gekommen. «Journalismus, Politik, Mathematik fand ich alle auch interessant.» Ziemlich spontan hat er sich dann für Medizin entschieden. Er erklärt seine Entscheidung: «Die Sicherheit, welche der Beruf bietet, war sicherlich wichtig. Ich wusste, dass es immer Ärzte brauchen würde. Dazu spielte aber natürlich auch Idealismus eine Rolle. Es war auf jeden Fall nicht eine rein wirtschaftliche Entscheidung. Medizin hat mich auch als Fach sehr interessiert!», Trotzdem, «die Entscheidung für das Medizinstudium war ein Einschnitt in meinem Leben», sagt er mit Überzeugung.
Medizinstudium in Bern
Nach der Matura ging es direkt ans 7-jährige Medizinstudium an der Universität Bern. Das Studium habe ihn fasziniert, meint er. Ob er sich, wenn er nochmals jung wäre für ein anderes Studienfach entscheiden würde, weiss er nicht. «Eine schwierige Frage! Die Medizin hat mein Leben geprägt. Hätte ich mich für ein anderes Studium entschieden, wüsste ich nicht, wo ich heute wäre und wie es mir ginge. Letztlich dank meinem Entscheid habe ich an einem Berner Spital meine Frau Heidi kennengelernt», meint der gebürtige Berner.
Die Zeit nach dem erfolgreichen Studium
Nach dem Medizinstudium kann man mangels praktischer Erfahrung noch nicht gleich als Arzt in eigener Verantwortung arbeiten. Nach dem Studium entschied Dr. Bavaud sich zunächst für ein Auslandjahr in Huddersfield, England. Dort arbeitete er ein halbes Jahr als Assistenzarzt in der inneren Medizin und ein halbes Jahr in der Chirurgie. «Mir ging es um die Berufserfahrung und darum, Englisch für den Alltag zu lernen. Es war eine schöne Zeit. Ich war froh um die Begleitung durch meine ebenfalls berufstätige Frau», erzählt er. Während insgesamt 8 1/2 Jahren folgten Assistentenstellen in diversen Spitälern und in verschiedenen medizinischen Sparten in St. Gallen und Bern.
Gründung einer eigenen Praxis und die damit verbundene Verantwortung
Noch während des Studiums hatte er in der Ärztezeitung nach einer Stellvertretung gesucht, um etwas Geld zu verdienen. Ein Arzt in Einsiedeln suchte jemanden, der ihn nach einer Operation während 6 Wochen vertreten sollte. Per Zufall hat es Herrn Bavaud so von Bern nach Einsiedeln im Kanton Schwyz verschlagen. Die Zusammenarbeit mit dem Einsiedler Arzt entwickelte sich zu einer langjährigen Freundschaft. Auf Wunsch des überlasteten Kollegen hat Dr. Bavaud 1976 angrenzend an dessen Praxis seine eigene Praxis bauen lassen. «Eine eigene Praxis zu führen ist mit grösserer Verantwortung verbunden. Man steht für Fehler, die man vielleicht machen könnte, allein da. Man kann sich nicht mehr hinter einem Spital oder einem Chef verstecken. Jede erfolgreiche Behandlung und gelungene Diagnose ist dafür ein Aufsteller», erklärt der Arzt. Selbständigkeit heisse auch, finanzielle Risiken und Lasten zu tragen. Am Schluss des Jahres müsse die Bilanz stimmen. Kurz gesagt, müsse man schauen, dass man halt nicht Konkurs gehe, ergänzt er lachend.
Ein Typischer Arbeitstag als Arzt und welche Fähigkeiten man benötigt
Im Normalfall, (Notfälle, die Tag und Nacht stattfinden ausgenommen), fängt sein Arbeitstag um 8 Uhr an. Sein kurzer Weg zur Praxis kommt ihm gelegen. «Ich steige auf mein Velo und fahre los», sagt er. Das macht der mittlerweile 81-jährige Claude Bavaud nun seit etwa 50 Jahren, 600 Monaten, oder ungefähr 18 000 Tagen, davon einige Jahre im Ausland. «Der Beruf ist eine tragende Säule im Leben. Wenn man etwas macht, was man liebt, merkt man gar nicht, dass man arbeitet», philosophiert er. Mittags macht er jeweils 90 Minuten Pause, worauf er dann meist bis halb sieben arbeitet. Der Berufsalltag sei sicherlich anregend, meint Herr Bavaud. Um den Alltag als Arzt stemmen zu können, sind seiner Meinung einige Persönlichkeitsmerkmale besonders wichtig: «Ich denke, jemand, der Arzt werden will, braucht emotionale und soziale Intelligenz. Er muss logisch denken können, er braucht Erfahrung, ein grosses Wissen oder die Fähigkeit, das nötige Wissen rechtzeitig zu mobilisieren.»
Mehr als nur Patienten
Für Herr Bavaud gibt es eine Situation in seinem Alltag, die ihm unangenehm ist. Das sei, wenn ein Patient sich „umorientiert“, sagt er. «Wenn sie anrufen und mich bitten, ihre Unterlagen weiterzuleiten, weil sie zu einem anderen Arzt gehen möchten. Das ist für mich ein Moment, welchen man halt professionell verdauen muss», meint er. Mit dem Alter käme es naturgemäss mittlerweile etwas häufiger vor. Vielleicht denken sie, ich sei senil geworden, ergänzt er. «Es betrifft Zwischenmenschliches, man hat sich an eine Person gewöhnt und hat eine Beziehung zu der Person aufgebaut. Es ist eine Enttäuschung und eine Art Liebesverlust», meint der leidenschaftliche Arzt.
Burnout und das Verlangen nach einem Wechsel
Auf die Frage, ob er sich jemals überlegt habe, den Beruf zu wechseln, antwortet er: «Den Beruf nie, aber den Ort. Die Belastungen waren manchmal so gross, dass ich 1990 in eine Krise geriet, in ein Burnout.» So verpachtete er seine Praxis einem Kollegen, packte seine Koffer und reiste mit seiner Frau im Auftrag der SolidarMed Luzern, einer Hilfsorganisation, zwei Jahre an ein Landspital in Lesotho im südlichen Afrika. In Thaba Tseka habe er wieder Ruhe und Sinn finden können, meint er. «Es hat mich fasziniert. In der Schweiz kommt einer
zu dir, weil er Halsschmerzen hat, andere sind deprimiert, jemand hat Ohrenschmerzen oder eine Blasenentzündung. In schwereren Fällen weist man die Patienten ins Spital ein. In Lesotho gibt es nur wenige Ärzte für fast 2 Millionen Basotho. Wir waren ein einfaches, aber funktionierendes Spital mit zwei Ärzten aus der Schweiz, einer Krankenpflegeschule und genügend erfahrenem Personal. Das nächste Spital, ebenfalls einfach ausgestattet, war 40 km entfernt. Die hatten auch zwei Doktoren. In Lesotho waren es Frühgeburten, Geburtsstillstände, Schussverletzungen, schwere Tuberkulosen, Verbrennungen, Knochenbrüche, Schädelverletzungen, Typhus, ein völlig anderes Kaliber an Fällen. Das Queen Elizabeth II Hospital in Maseru, der Hauptstadt, war weit weg, hatte einen zweifelhaften Ruf, die Fahrt dahin dauerte 12 Stunden. Wir mussten mit allem fertig werden», meint er.
Als medizinischer Koordinator nach dem tragischen Völkermord von Rwanda 1994/95
Letztes Jahr hat Claude Bavaud’s Frau, Heidi Bavaud, ein Buch mit dem Titel «Die Laus im Katastrophenhilfepelz» veröffentlicht. In dem Buch hat sie von ihren Erlebnissen in Rwanda erzählt. Sie hat ihren Mann auch damals begleitet, als er nach den schrecklichen Ereignissen in Rwanda als medizinischer Koordinator des Schweizerischen Korps für Humanitäre Hilfe (SKH) 1 Jahr beim Wiederaufbau des rwandischen Gesundheitssystems tätig war. «Natürlich hinterlassen solche Erfahrungen Spuren bei Menschen, auch bei Ärzten. Der Einsatz nach dem Massaker im Flüchtlingslager Kibeho ist mir besonders geblieben», sagt er.
Die teils Schwerverletzten des Massakers waren in ein Spital in Butare im Süden des Landes gebracht worden. Das Spital sei vollkommen überfordert gewesen, verschiedene medizinische Hilfsorganisationen, eingeschlossen das SKH und das IKRK und Pflegepersonal und Ärzte aus aller Herren Länder, hätten kurzerhand das überforderte Spital übernommen, erzählt er.
«In solchen Ausnahmesituationen ist es verblüffend, wie selbstverständlich einander wildfremde professionelle Menschen miteinanderarbeiten können! Es hatte Russen, Franzosen, Irländer, Schweizer, Italiener, einfach alles», meint Herr Bavaud. Die Zusammenarbeit sei ein phänomenales Erlebnis gewesen, ergänzt er. «Wenn es um Leben und Tod geht, gibt es keine Nationen, keine Diplome und keine Hautfarben, sondern nur Menschen, die sich im Dienst an den Mitmenschen gegenseitig unterstützen!», erzählt er mit Leidenschaft.
Geiselnahme in Tadschikistan – keine Garantie für ein Morgen
Im Auftrag des VBS und der UNO arbeitete Major Bavaud, diesmal ohne seine Ehefrau, 1996/97 knapp ein halbes Jahr als Arzt einer unbewaffneten UN-Peacekeeper Mission (UNMOT) in Tadschikistan. Tadschikistan hatte nach einem Bürgerkrieg und einem instabilen Waffenstillstand die UNO beauftragt. Aufgabe der UNO war die Überwachung des Waffenstillstands und die Vermittlung eines Friedensvertrags. Die Swiss Medical Unit war für den medizinischen Dienst der UNMOT verantwortlich. Sie seien mit zwei UNO-Fahrzeugen mit einem erkrankten österreichischen Major unterwegs gewesen, als sie zu fünft von bewaffneten Mujaheddin angehalten, entführt und 12 Tage in Geiselhaft genommen worden seien, erzählt Herr Bavaud. Die Familienangehörigen ängstigten sich und mussten mit der Ungewissheit leben, ob sie ihre Söhne, Gatten, Väter oder Brüder je wieder sehen würden. Bahkrom Sadirow hatte innert Tagen noch weitere 12 Geiseln inklusive den Sicherheitsminister Tajikistans in seine Gewalt gebracht. Mit der Drohung, wenn seine Forderungen an die Regierung nicht erfüllt würden, jemanden zu erschiessen, setzte er seine „Gäste“, wie er sie nannte, unter Druck. Die Geiselnahme wurde weltweit publik, die Präsidenten Clinton und Jelzin verurteilten sie. Nach einer teilweisen Erfüllung seiner Forderungen entliess Bahkrom am 17.2.97 alle seine Geiseln.
Neuaufbau eines verlassenen Spitals in Kamerun
Mit einer NGO aus dem Tessin, der „Fondazione Opera Umanitaria Dr. Maggi“, gingen Herr und Frau Bavaud im Jahr 1998 zusammen nach Nordkamerun. «60 000 Menschen in einem grossen Einzugsgebiet am Tschadsee hatten kein Spital mehr zur Verfügung. Das vom Tessiner Arzt Dr. Giuseppe Maggi in Mada 1976 gebaute Spital, –er hatte bereits 3 weitere Spitäler in Tokomberé, Zinah und Petté errichtet-, stand leer, nur spärlich ausgerüstete Dispensaires hielten in der Region einen primitiven Notfalldienst aufrecht. Ein Gesundheitswesen, welches so gut wie inexistent war», erinnert sich der Arzt. Man musste wieder Leute anstellen, die Infrastruktur erneuern und wieder in Betrieb nehmen, eine Administration einrichten, die Finanzen ordnen und das Personal weiterbilden. Während 3 Monaten stand das Ehepaar dem initiativen Kollegen, der die Aufgabe übernommen hatte, zur Seite.
Der Wissensdrang bleibt bestehen
Herr Bavaud hat diverse Interessen, welchen er auch in seinem fortgeschrittenen Alter noch nachgehen möchte. «Gerne würde ich aus reinem Interesse noch etwas anderes studieren, vielleicht Politik, Geschichte oder Literatur. Ich bin ein Bücherwurm», meint er. Allerdings macht er sich keinen Stress. Die eigene Praxis mache ihm nach wie vor Freude, sagt er. Konkrete Pläne hat er noch keine.
Ich finde das Porträt ist sehr spannend und gut geschrieben. Die Direkte Rede wurde gut angewendet (:
Ich finde es sehr spannend und es macht Spass das Portrait zu lesen. 🙂
Spannend zum lesen und gut geschrieben.