Der unbekannte Food-Fotograf

Ernst Schätti, 94, arbeitet bis zu seiner Pension 1993 als Food-Fotograf für eine bekannte Kochbuchautorin in der Zentralschweiz. Er ist ein belesener, kulturell interessierter und bescheidener Mensch, der auf ein langes und spannendes Berufsleben zurückblicken kann. Wenn sich andere in einem Kochbuch von einem feinen Rezept und ansprechenden Fotos inspirieren lassen, hat dies womöglich Ernst Schätti ins Bild gesetzt.

Als versierter Zeichner absolviert mein Grossvater die Kunstgewerbeschule in Luzern, welche heute unter dem Namen Hochschule für Gestaltung bekannt istund erlernt dort den Beruf als Grafiker. Dank seines grossen Leistungsausweises und seiner Empfehlungen kann er die Arbeitgeber danach frei aussuchen. Schon bald arbeitet er bei diversen Grafikagenturen in der ganzen Schweiz.

Nach einigen Jahren arbeitet er bei der kleinen Firma Kaltenbach in einer wunderschönen Villa in Horw. Die Agentur ist spezialisiert auf den Bereich Lebensmittel und insbesondere auf hochwertige Kochbücher der bekannten Luzerner Autorin Marianne Kaltenbach. Sie ist die Ehefrau des Firmeninhabers Fritz Kaltenbach. In dieser Agentur bleibt Ernst für eine Weile und sucht sich danach wieder eine neue Herausforderung, bis sich sein ehemaliger Arbeitgeber Fritz Kaltenbach wieder an ihn wendet und ihn anfragt, zur Agentur zurückzukommen. Doch diesmal nicht nur als Grafiker, sondern auch als Food Fotografen.

Mein Grossvater findet den Beruf Food-Fotograf sehr spannend und herausfordernd. Um in diesem Bereich erfolgreich tätig zu sein, muss man als Fotograf auch das Essen lieben und sich gerne damit auseinandersetzen. Inspirieren lässt er sich unter anderem von Lexika, Kunstbüchern und anderen Food-Fotografien. Er fotografiert ausschliesslich analog mit einer grossen Fachkamera, zum Beispiel mit einer Hasselblad. Die Filmrollen mit je 30 Bildern werden nach dem Fotografieren ins Labor zum Entwickeln geschickt, da dieser Prozess spezielle Kenntnisse braucht. Die Filmnegative werden weder retuschiert noch auf eine andere Art bearbeitet. Seine Arbeitsweise kennt noch keine digitalen Prozesse, wie Computer, digitale Korrekturen oder Speichermedien.

Neben den langen Arbeitstagen ist vor allem die Zeit Ende Jahr sehr arbeitsintensiv, da viele Auftraggeber ihr Budget noch aufbrauchen wollen. Als einziger Fotograf im Betrieb arbeitet er so lange bis die ganzen Fotoarbeiten im Kasten sind. Sei es für externe Kunden oder für die Kochbuchautorin Marianne Kaltenbach.

Für die Kochbücher von Frau Kaltenbach gibt es zwar Vorgaben für einen bestimmten Themenbereich, wie zum Beispiel Wein, Butter, Polenta, Fisch, Pizza, exotische Früchte und vieles mehr. Jedoch geniesst er die künstlerische Freiheit, das Bild genauso umzusetzen, wie es ihm für das jeweilige Projekt am besten gefällt. Von den Dekorationen, dem Geschirr und weiteren Accessoires bestimmt er, welche Ausstrahlung das Bild haben soll. Manchmal benutzt er Dia-Projektionen oder spezielle Kunstfiguren im Hintergrund, um den Eindruck zu erwecken, dass das Foto in Italien, Griechenland oder in den USA aufgenommen worden ist. Diese kreative Freiheit macht ihm ausserordentlich Spass.

Nur mit dem Koch, der eigens für die Rezepte von Marianne Kaltenbach angestellt ist, gibt es manchmal Diskussionen. Da alle Gerichte von ihm so umgesetzt werden, wie es in der Vorgabe im Rezept steht, führt das dazu, dass manchmal eine normale Bratensauce auf dem Bild zu dunkel und etwas unappetitlich wirken kann. Dabei werden die Gerichte ohne Konservierungsstoffe oder nicht essbaren Zusätzen wie zum Beispiel Haarspray, Farbe oder Klebstoff fotografiert. Am Abend nimmt Ernst Schätti oftmals die gekochten Gerichte zur Freude seiner Familie mit nach Hause.

Die aufwendig produzierten Kochbücher von Frau Kaltenbach, welche von ihm fotografiert werden, finden über die Kantonsgrenzen grosse Beachtung bei Liebhabern von guten Gourmetbüchern. Dass der Name von Ernst Schätti für die hochwertigen Food-Fotografien nie im Impressum dieser Bücher zu finden ist, ist für ihn dabei nicht so wichtig. So sagt er: «Ich bin auf meinen beruflichen Werdegang stolz.»

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