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Ein unerwünschter Gast (11)

Heute war ein besonderer Tag. Lange hatte ich mich darauf gefreut. Wie jedes Jahr brachte er die Familie zusammen. Es würden Geschenke verteilt, es würde gegessen, gelacht und getanzt werden.

Wie immer war ich zu spät und war noch nicht fertig angezogen. Dabei sollte ich doch noch mit dem Hund raus, bevor die Gäste kamen. Ich rannte zwischen meinem Zimmer und dem Badezimmer hin und her – ich musste mich beeilen. Ich kam in mein Zimmer und blieb abrupt stehen, als mein Blick sich auf einem Stein am Boden verharrte. Auf dem Stein befand sich ein Engel, der einen Strauss Rosen in der Hand hielt. Er lächelte. Diesen Stein hatte ich bemalt. Er war ein Geschenk. Ich wollte es bereits den ganzen Monat vorbeibringen, doch hatte es nie geschafft.

Ich nahm all meinen Mut zusammen, packte den Stein ein, nahm den Hund und machte mich auf den Weg. Ich würde so oder so am Ziel vorbeikommen. Ich spürte, wie meine Hände leicht zitterten – je näher wir kamen. Es waren bereits viele Leute da. So traute ich mich nicht und machte mich auf den Heimweg. Mein Hals wurde trocken und meine Augen wässerig.

Inzwischen war der Besuch da. Doch ich konnte mich nicht auf ihn konzentrieren. Denn in meinem Kopf waren diese Gedanken, sie schwirrten rund um diese eine Person, die sich nicht aus meinem Kopf vertreiben liess. Sie war hartnäckig und blieb. Wie ein unerwünschter Gast in einer Kneipe. Einer, der auch nach Ladenschluss nicht gehen will.

Er verfolgte mich. So lange, bis er mich gebrochen hatte, ich in Tränen ausbrach und somit den Entschluss fasste, mich noch einmal auf den Weg zu machen.

Es waren keine Menschen mehr vor Ort. Es war still. Ganz still. Ich nahm den Stein aus meiner Jackentasche und legte ihn neben seinem Foto auf das Grab.

Die Tränen kullerten über mein Gesicht. Doch tiefst im inneren war ich froh, nachgegeben zu haben und den Gast in meinem Kopf nicht zu ignorieren. Ich brauchte das.

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