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Ein unerwarteter Gast  (5)

Der Raum war kalt, das Licht schien auf das grosse Gemälde an der Wand. Die Farben leuchteten auf und meine Augen fuhren entlang der gemalten Linien. Das Gemälde widerspiegelte die Emotionen des Künstlers, die Emotionen, die er nie zeigen wollte.   

Kalt, arrogant und selbstsüchtig. So beschrieben ihn die Menschen in unserer Schule. Ich kannte ihn schon, seit wir kleine Kinder waren. Er war mir schon immer ein Rätsel. Sein Gesicht war immer gleich, nie konnte man herausfinden, was er denkt oder wie er etwas empfindet. Für mich war es nur eine weitere Person in meinem Leben, nicht mehr.  

Jeden Donnerstag findet meine Vorlesung für Geschichtswissenschaft statt. Gehe ich gerne hin? Nein. Muss ich hingehen? Ja. Meine Eltern bestehen darauf, dass ich eine erfolgreiche Zukunft habe. Sie wollten immer nur das Beste für mich. Ich interessierte mich für Geschichtswissenschaft, doch Kunst interessierte mich mehr. Beim Malen fühle ich mich frei und habe keine Vorschriften von meinen Eltern. Vor zwei Wochen war ich an meiner letzten Vorlesung, seitdem besuche ich heimlich das Kunstatelier an unserer Uni. Wo ich ihm begegnet bin. Durch die Kurse im Kunstatelier sah ich ihn öfters als gewollt. Seine Art und Weis, war anders, als ich ihn kannte.  

Langsam verliess einer nach dem anderen das Kunstatelier, bis nur noch ich da war. Als ich das Licht löschen wollte, sah ich es. Das Gemälde an der Wand. Der Raum schien geschrumpft zu sein, so gross schien mir das Bild. Diese Farben und der Verlauf der Linien. Das Licht schien im perfekten Winkel auf das grosse Gemälde. Es war atemberaubend.   

Ich stand sprachlos vor dem Gemälde. Das Bild brachte mich so zum Nachdenken, dass ich ihn gar nicht bemerkt hatte. Auf einmal stand er neben mir, ich drehte mich um und sah ihn an. Ich hatte nicht erwartet, dass jemand zurückkommt und mich so vor dem Gemälde sah. Ich konnte nicht feststellen, was er empfand, da seine Miene für mich nicht leserlich war. Er war der Erste, der etwas sagte. «Was empfindest du, wenn du das Gemälde betrachtest?» Ich glaube, ich hatte mich verhört. Ich hatte seine Stimme seit dem Kindergarten nicht mehr gehört. Ich antwortete ihm ehrlich. Ich sprach meine Gedanken aus. «Die Linien, die Farben und das Licht repräsentieren das Bild wundervoll. Alles zusammen passt perfekt überein. Das Gemälde widerspiegelt die Emotionen des Künstlers. Es wirkt, als würde ich die Person kennen, doch trotzdem ist sie so fremd.»  

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