Plötzlich ging die Türe auf, als ich vor meinem winzigen Fensterchen stand. Hektisch stürmte meine Mutter Sandra mit ihrem neuen Ehemann Philipp herein. Locke, mein Hund, war auch da. Stark weinend und völlig aufgewühlt, schauten die beiden mich an. Ihr Blick enthielt Empathie, Elend und endlose Leere zugleich. Es war so laut und trotzdem totenstill, niemand traute sich, etwas zu sagen. Wird das wohl das Ende sein?
Der Raum war dunkel, stockdunkel, so dunkel, dass ich meine eigene Hand fast nicht mehr erkennen konnte. In meinem Zimmer war nur ein kleines, kahles Bett, ein weisses Nachttischchen mit einer winzigen roten Fliegenpilzlampe drauf. Diese Lampe hatte ich von meinem Onkel Remo zu meinem sechsten Geburtstag geschenkt bekommen. Ohne diese konnte ich nicht einschlafen, deshalb war sie da. Ohne diese hätte ich mich noch einsamer gefühlt. Das Buch «Das Schicksal ist ein mieser Verräter» weilte auf dem kleinen weissen Nachttischchen. Es begleitete mich seit langem und ich wünschte mir immer wieder aufs Neue, dass ich wie Hazel sein könnte, so stark wie sie, doch leider nein. Ausserdem war noch ein Mini-Bilderrahmen mit einem Foto von Locke und mir auf dem Nachttischchen, dies munterte mich jeden Tag ein bisschen auf. Der Raum sah und fühlte sich so kühl an, nur schon bei dessen Anblick wurde ich traurig und ich wollte wieder nach Hause. Nach Hause, in mein geliebtes kleines Dachzimmer, wo ich meine ganze Zeit mit meinem Hund Locke verbringen konnte. Er war mein zu Hause. Ich wollte zu Locke. Ich stand vor dem Fensterchen und konnte nicht mehr. Meine Überlegung war: Soll ich springen? Ich konnte nicht mehr. Mein Kopf konnte nicht mehr klar denken, meine Augen sahen nur noch verschwommen und meine Ohren hörten nichts mehr, ich hörte nur noch wirre Geräusche in meinem Kopf, kein einziges klares Wort drang mehr in meinen Kopf. Meine Mutter zitterte. Sie hatte lediglich ihre schwarzen Lieblingspantoffeln und den knallroten Mantel an, den sie immer trug, wenn etwas nicht gut war. Ich wusste, etwas war nicht gut. Die Verzweiflung war ihr ins Gesicht geschrieben, sie brachte kein einziges Wort heraus. Nur Tränen. Ihr Ehemann Philipp, neben ihr stehend, sah aus, als wäre er gerade versteinert worden. Geschockt. Die einzige Frage, die ich mir stellte: Soll ich springen oder nicht? Ich blickte meine Mutter und ihren Ehemann an und schloss die Augen. Ich fühlte mich frei, so frei.